Die Veranstaltung muss am 25. 4. leider entfallen! Um einen Nachholtermin werden wir uns zeitnah bemühen!
Prof. Dr. Dirk Oschmann (Leipzig):
Menschenbilder - Friedrich Schillers "Don Karlos"

Freitag, 25. April 2025
(in Kooperation mit dem Literaturhaus Kassel)

Ort: Palais Bellevue,
Schöne Aussicht 2, 34117 Kassel
Zeit: 19:00 Uhr

Referent:
Prof. Dr. Dirk Oschmann (Universität Leipzig)

Der Eintritt ist frei.

Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Dirk Oschmann posiert für ein Bild in der Räumen des Ullstein Verlags in Berlin am 7. Februar 2023.
Prof. Dr. Dirk Oschmann (© by IMAGO / Emmanuele Contini)
Don Karlos (IV Akt, 9. Auftritt) - Kupferstich von W. Böhm nach Fr. Catel
Don Karlos (IV Akt, 9. Auftritt)
Kupferstich von W. Böhm nach Fr. Catel
Elisabeth von Valois (Frontispiz von H. Schmidt nach Tischbein, 1802)
Elisabeth von Valois (Frontispiz von H. Schmidt nach Tischbein, 1802)
Don Karlos (V. Akt, 3 - Auftritt) - Kupferstich von W. Böhm nach Fr. Catel
Don Karlos (V. Akt, 3 - Auftritt)
Kupferstich von W. Böhm nach Fr. Catel

Illustrationen aus der Ausgabe Bey Georg Joachim Göschen, Leipzig, 1802.
Freundlicherweise fotografiert und der GGK zur Verfügung gestellt von Sibylle-Maria (Pennsylvania/USA).

Henrieke Harle (Bundespräsident-Theodor-Heuss Schule Homberg/Efze): Elisabeth und Don Karlos im Garten zu Aranjuez (I, 5).
Henrieke Harle (THS Homberg/Efze): Elisabeth und Karlos im Garten zu Aranjuez (I, 5)

Da das Staatstheater Kassel, namentlich Regisseurin Julia Hölscher, Schillers Don Karlos auf die Bühne bringt, möchte sich die Goethe-Gesellschaft Kassel diese glückliche Fügung nicht entgehen lassen. Glücklich schätzen wir uns zudem, einen Referenten gewonnen zu haben, der gleichermaßen literaturwissenschaftlich versiert wie menschlich ‘greifbar’ ist: Prof. Dr. Dirk Oschmann von der Universität Leipzig.

Die fortdauernde Faszinationskraft des ‚Don Karlos‘ hat vielfältige Gründe. Drei denkbare Aspekte seien hier angedeutet:

  1. Das Stück führt vor, wie die Idee politischer Freiheit, die Kraft zu emanzipatorischem gesellschaftlichen Handeln in Erfahrungen echter menschlicher Begegnung wurzelt, in Erfahrungen von Anerkennung, Freundschaft und menschlicher Bindung – so prekär gerade persönliche Beziehungen im Don Karlos auch stets auf dem Spiel stehen.

  2. Ein gedanklich erfasstes gesellschaftliches Ideal – ein utopisches Bild von der Zukunft – kann leicht in Selbstwidersprüche und in neue Formen der Unfreiheit münden, wenn es den Weg zu seiner Verwirklichung antritt. Schillers Stück problematisiert einen Freiheitskämpfer, der schließlich auf klandestinen Wegen wandelt und dem die Mitmenschen, deren Glück er zu befördern glaubt, zu Mitteln für seine Zwecke zu werden drohen.

    Posa führt sich bei seiner Wiederbegegnung mit Karlos als „Abgeordneter der ganzen Menschheit“ ein. Leicht sehen ‚gesamtmenschheitlich‘ formulierte Ideale von den Wünschen und Bedürfnissen des Einzelnen; von der Würde des Individuellen, Konkreten, Besonderen ab.

  3. In der Überlagerung der Intrigen und Gegenintrigen (Impulsgeber: Domingo, Eboli, Alba, Posa) kommt ein modernes Bewusstsein der Unberechenbarkeit historischer Prozesse zum Ausdruck, demzufolge Ereignisse zwar rückblickend gedeutet, nicht aber exakt prognostiziert werden können. In den Worten des Schauspielerkönigs aus Shakespeares  Hamlet: „Our wills and fates do so contrary run, / That our devices still are overthrown; / Our thoughts are ours, their ends none of our own.“

     

    Für Schillers Freiheits-Drama könnten wir uns keinen besseren Referenten wünschen als Prof. Dirk Oschmann, der als Literaturwissenschaftler zu zentralen gesellschaftlichen Themen öffentlich Stellung bezieht.

Dirk Oschmann: Friedrich Schiller - Eine kleine Werkschau (Ullstein 2024)
Dirk Oschmann: Friedrich Schiller - Eine kleine Werkschau (Ullstein 2024)

Prof. Dirk Oschmann (Universität Leipzig) bietet in seinem Buch Friedrich Schiller – Eine kleine Werkschau (Berlin, Ullstein 2024) – eine Neuausgabe des zuerst 2009 im Verlag Böhlau/UTB in der Reihe Profile erschienenen Bändchens – einen literaturtheoretisch versierten, dabei leserfreundlichen und lebensnahen Zugriff auf Schillers Werk.

Zunächst reflektiert Oschmann die sprachkritische Tendenz von Schillers Stil. Oschmann zeigt, dass in Schillers Sprache, oft als ‚verstaubt‘ abgetan, vielmehr ein wesentlicher Aspekt der ‚Modernität‘ seines Denkens und Schreibens liegt – im Sinne einer durch und durch eigensinnigen, dabei hochgradig bewussten Sprachverwendung.

Schillers rhetorische Strategien zielen einerseits auf Affekterregung, dienen andererseits jedoch  der sprachlichen ‚Durcharbeitung‘ von Wahrnehmungen. Die Phänomene werden nicht begrifflich fixiert, sondern in dynamische, immer wieder wechselnde Konstellationen von Begriffen gestellt. 

Immer neu konstelliert werden Begriffe wie „der Einzelne und die Gattung, [der] Teil und das Ganze, Gefühl und Verstand, Einbildungskraft und Abstraktion, Antike und Moderne, Natur und Kunst, Lebendiges und Mechanisches; Wilder – Barbar – gebildeter Mensch; Stofftrieb – Formtrieb – Spieltrieb; physischer Zustand – moralischer Zustandästhetischer Zustand etc.“ (Oschmann, S. 142) In den wechselnden Konstellationen der Begriffe nähert sich Schiller der Individualität der Phänomene an. Denn die Sprache ist ein Allgemeines, die Phänomene aber sind jeweils Individuell. „In Sachen Sprache ist Schiller nicht Idealist, sondern „Formalist“ und zugleich Pragmatiker“. (Oschmann, S. 18)

Vor dem Hintergrund des Sprachbewusstseins Schillers werden dann jeweils bestimmte thematische Aspekte  anhand einzelner Werke herausgearbeitet. Dazu zählen u.a.

  • die anthropologische Frage nach dem Sosein des Menschen (Menschenbilder)
  • Entfremdungserfahrungen der Moderne und das Ideal des ‚ganzen‘ Menschen
  • Das Spiel (bzw. der Spieltrieb) als zentrale Kategorie der Ästhetik Schillers
  • Individualisierung als Zusammenspiel (innerer) Ganzheit und (äußerer) Gestaltungsmöglichkeiten;
  • Maßlosigkeit und Größenwahn;
  • die Kunst der Intrige;
  • Sein und Scheins (‚negativer‘ Schein der Verstellung vs.  ‚positiver‘ Schein des Kunstwerks – das seine Formgebung betont)
  • die Metapher der ‚krummen Wege‘;
  • Schillers Konzeption der Geschichtsschreibung
  • (konfligierende) Bilder von Weiblichkeit
  • u.a.m.

Jedem Kapitel (bzw. Unterkapitel) ist ein Text Schillers zugeordnet;  zu allen Texten werden kurze Einführungen gegeben. Oschmanns Schiller-Monographie bleibt insgesamt gut zugänglich; sie wendet sich an Fachkollegen und an interessierte Leser gleichermaßen.

Insgesamt legt Oschmann prägnante und doch auch anspielungsreiche Lesarten der Texte Schillers vor, in denen diese auch in konkreten lebensweltlichen Bezügen greifbar werden.

Interessant ist es, Oschmanns Schiller-Monographie und seinen ‚polemischen Lang-Essay‘ Der Osten: eine westdeutsche Erfindung (2023) im Zusammenhang miteinander zu lesen (2023). Zwischen beiden Texten werden subtile Bezüge deutlich. Beide Texte werden durch ähnliche Grundfragen strukturiert: der Wunsch nach Individualisierung; Fragen nach Möglichkeiten der Mitgestaltung von Strukturen; Fragen nach einer gerechten Verteilung von Lebenschancen; das Ideal der ‚Ganzheit‘ auf individueller und gesellschaftlicher Ebene u.a.m. Hier schreibt ein Autor, der sich in verschiedenen Diskursfeldern – einmal in  hoher, auf Objektivierung zielender Differenzierung, dann in der polemischen Zuspitzung der Streitschrift -, jeweils sehr reflektiert positioniert.

Es ist uns eine große Freude, Prof. Dirk Oschmann in Kassel begrüßen zu dürfen!

Es ist geplant, die Inszenierung Julia Hölschers am Staatstheater Kassel zu besuchen. Bis zum 16. Februar ist ein Kartenkontingent für die Goethe-Gesellschaft reserviert. Anmeldung unter goethe-gesellschaft-kassel@web.de oder unter 01575 – 82 42 623.

Palais Bellevue, Kassel
Scroll to Top